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Der VfL Bochum schreibt gerade seine 7000 Dauerkartenkunden an und bittet sie, auf die Rückerstattung des Geldes für 4-5 Heimspiele zu verzichten. Covid 19 bedeutet auch für Fußballvereine eine Krise neuer Dimension. Bis dato gab es drei VfL-Heimspiele, die ausgefallen sind. Heidenheim, Kiel und St Pauli wären im Ruhrstadion gewesen mit ihren Gästefans, dazu kommen noch weitere Heimspiele wie Fürth bis zum 9. Mai; der treue Fan schaut in die Röhre (auf Sky/DAZN?), weil er Leistungen bezahlt hat, die er nun nicht erhält bzw. nur im TV erhalten wird. Als reiner Kunde könnte man salopp sagen, er ist gefickt. Aber Fans opfern sich gerne für ihren Verein (ich bin so ein Moron), malen Choreos, rufen auf, spenden Geld, reisen viel, machen kostenlos Werbung und sollen nun erneut die mögliche VfL- oder KSC-Insolvenz verhindern. Das erinnert mich an die Kindheit, wo Wüst uns Fans um unsere Sparschweine bat (besser den Inhalt), um den drohenden Lizenzentzug zu verhindern. Das mag über 40 Jahre her sein, ist aber noch im Kopf. Wir Bochumer, wir haben das damals gemacht.

Aber AGs wie Bayern und Dortmund haben mit ihrem Millionen Heer an Fans und Konsumenten eine andere Situation als wir kleinen Bochumer und wollen ab dem 9. Mai wieder durch Geisterspiele viel Geld einnehmen. Firmen sind so, Fußballvereine sollten anders sein, daher bitten Clubs der Dritten und Vierten Liga um Abbruch der Saison 19/20.

Viele VfL-Fans legten Freitag den Server lahm und bestellten über 7000 Trikots in schwarz, um mit ihrem Club in der Corona-Not zu helfen. Ok, das Dress sah auch gut aus, aber es war dennoch ein Akt der Solidarität der Bochumfans mit dem Verein. Während nun selbst viele Fans in Kurzarbeit sind, Familien Einbußen drohen, Gastronomen um ihre Existenz bangen, Künstler bluten, verzichten Leistungsträger wie Sesi und Eisfeld also grade mal auf 10-15 % Prozent ihres Gehaltes - und man hat so den Eindruck, als solle man das noch als “große Geste” feiern. Da stellt man sich nicht nur als Altkommunist die Frage, haben die noch alle Tassen im Schrank?

Und nun soll man nochmals auf 4 mal x auf das Eintrittsgeld verzichten, Solitrikots ordern und dem VfL helfen, über den Sommer zu kommen, als ob es auf dieser Welt nicht objektiv wichtigere Dinge gäbe, als verkürzt, Spitzenverdienern in Kurzarbeit (damit meine ich die Profis aus der 1. und 2. Liga) “die Geldtrockenheit dieses Sommers 2020″ nicht zu heiß werden zu lassen und indirekt denen den hohen Verdienst zu sichern. Klar, es geht um den Verein, aber die Hauptkostenträger sind die Profis,

Herr Held vom FC nennt dies jetzt vermutlich “Populismusscheiss”, dass ich im Endeffekt den Spielern ihr Luxusauto neide. Nein, das ist leider nicht so leicht, goldene Lambos find ich kacke. Natürlich muss man bei “Apachen” wie Abumeyang und seinem BAT-Nobelhobel besonders kotzen, wenn man in der Dortmunder Nordstadt als BVB-Fan wohnt, aber auch der “erdige” Hummels ist ja Einkommensmillionär - und auch ein Simon Zoller wird beim VfL nicht mit Essensmarken bezahlt. Und Bella Kotchap rennt zu diesem BVB gegen Gladbach und findet das toll.

Da stellt sich selbst bei nibelungentreuen Fans die Frage nach der Gewichtung der Solidarität und nach dem Sinn, ab dem 9. Mai Geisterspiele zu akzeptieren, auf Rückerstattung zu verzichten und als bescheuerter Konsument noch Pappgesichter auf dem Nordpark aufzustellen. Dümmer geht’s nicht, auch wenn Gladbach auf dem Feld ja Leistung bot und im ersten Geisterspiel gegen Köln gewann. Aber war das nicht grausam? Hab reingezappt und schnell wieder aus gemacht: Horrorveranstaltung fand ich vor dem TV, wo sonst Emotionen regieren.

Haben die Vereine, die gerne auf so Produkte wie RB, so Clubs wie Hoffe, Werksvereine wie Lev oder WOB herabgucken, sprich Schalke, Köln, Werder, HSV, VfB oder eben auch unser VfL, ihre eigene Bodenständigkeit nur vorgespielt, um dann wieder so “verschwenderisch” weiterzumachen wie vorher auch? Hertha zahlt aktuell 5 Trainergehälter, Windhorst machts möglich. Wo ist die Solidarität vom “Arbeiter- und Mitgliederverein” Schalke, wenn Oberhausen oder Aachen in der 4. Liga insolvent geht, wo fast jeder Schalker Spieler so viel Geld verdient, wie der gesamte RWO-Kader? Soll man dann für Schalke spenden, damit die reichen Spieler reich bleiben oder ist das schon “Sozialismus” oder eine “von ewig Linken” geführte Debatte. Oder ist das schlicht der normale Menschenverstand? Die Frage nach dem Sinn vom Manus 20 Mios-Forderung mag Populismus sein (und das zu “flüstern” auch), berechtigt ist sie aber allemal, vor allem in Zeiten, wo man von Fans - und Kunden - gleichermaßen Geld fordert, genau wie vom Fernsehen.

Aber diese, von manchen Leuten als dt. Neiddiskussion gesehene Fragestellung - nach dem Sinn der immensen Höhe der Gehälter der Spitzenspieler von Reus bis Plea - vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Verwerfungen a la Corona beim Fanvolk - ist geneigt den dünnen Kitt der Fansolidarität platzen zu lassen. Das ist nichts Neues, spitzt sich aber zu.

Ist das nicht doch sinnvoll, dass nach Corona 2020 die Gehälter im Spitzenbereich des Profifußballs runtergefahren werden, damit man wieder - zumindest im Ansatz -erkennen kann, was der Volkssport Fußball bedeutete? Das ist ein Grenzbereich, in dem der Profifußball nach 30 Jahren Boom lebt und die DFL und die Clubs sind gut beraten, das Rad nicht weiter zu überdrehen und hier auf die Kritiker zu hören, die diese Auswüchse im Namen ganz vieler anprangern.

Die Vertreter einiger Ultragruppen und andere Einzelfans fordern den Abbruch der Saison und die Liga steuert ab dem 9. Mai auf Geisterspiele zu, deren sportlicher Wert Neuland ist. Im schlimmste Fall steigt Bochum sportlich ab und fährt in die 3. Liga ohne Zuschauer im September 20. Das wäre ein Alptraum, den die Fans gerne bereit sind zu verhindern, aber nur das Geld der Fans nehmen, Kurzarbeit bei der Geschäftsstelle, 10% weniger bei Team, das kann nicht DIE finale LÖSUNG sein an der Castroper Strasse, oder?

Ist noch die Frage, was hat eigentlich eine Ausgliederung 2017 uns geholfen, diese Krise zu überstehen? Die VfL Bochum KgaA bittet nun letztendlich doch wieder wie der alte Verein ann0 1982 um unser Geld!

Ich bin breit all dies zu tun (und habe es schon getan), Rückerstattungsverzicht, Geisterspielspende, Trikot und und und. Aber irgendwann ist auch gut. Ich bin für weiteren Gehaltsverzicht der Spitzenverdiener im Verein, und wenn das Populismus und Sara Wagenknecht sein soll, dann bitte schön, aber Herr Lindner ist eh Dortmunder und kann ja Aktien seines Clubs kaufen, wenn er möchte, ich bleibe immer noch nicht Fan eines außer Kontrolle geratenen Fußballmarktes, der nur noch das Geld anbetet.

Das Problem beim VfL ist ein Doppeltes: Gerade wieder etwas beruhigt nach der Ausgliederungsdebatte, dazu schlimm sportlich erfolglos unter Sesi/Reis, droht nun der wirtschaftliche Coronatod, wenn die Fans nicht wieder spenden. Da sagt so mancher, es reicht, macht euren Mist alleine.

Aber für den VfL Bochum gilt eben auch, das Maximum an Verständnis ist bei der Masse der Fans vermutlich erreicht und nicht nur bei den Unbequemen bleibt ein fader Beigeschmack und wenn ihr mich als Kunden bittet, dann sollt ihr auch nur den Kunden bekommen.

Tom, Kundenservicecommando 1993

still
Tom;CB`93

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