Interview mit einem Fan

Nach der erneuten Heimniederlage gegen Hannover 96 überschlagen sich die Ereignisse im Umfeld des VfL Bochum. Die Stimmung zwischen Manschaft, Vorstand und Fans dürfte sich auf dem absoluten Nullpunkt befinden. Trauriger Tiefpunkt waren sicherlich die deutlich vernehmbaren „Maltritz-Raus“-Rufe aus der Ostkurve, woraufhin sich sämtliche Lokalgazetten in mehr oder weniger kollektive Empörung suhlten. Michael Eckardt (WAZ) spricht vom Stimmungstief zur Unzeit und aus Duisburg meldet sich Ex-Trainer Peter Neururer via BILD-Zeitung zu Wort. www.commando-bochum.de sprach mit Diplom-Sozialwissenschaftler Jan Schaumann, Experte für jugendliche Subkulturen und selbst langjähriger Anhänger des VfL Bochum. 

 

CBO-TOM: „Maltritz Raus“ im Ruhrstadion, die Presse spricht einhellig von übelstem Mobbing gegenüber der eigenen Manschaft. Solche Fans wünsche man Niemandem! 

 

JS (lacht): Naja, vielleicht wünschen sich die Fans im Umkehrschluss ja auch seriösere weil unabhängigere Berichterstattung. Man sollte natürlich immer dezidiert darauf schauen aus, welcher Ecke(i) die entsprechenden Aussagen kommen. Die Bochumer Presselandschaft ist recht überschaubar. Es gibt seit fast zwei Jahrzehnten einen bekannten Lokalreporter, welcher selbst einst in der Ostkurve stand und sicher auch so manch unflätiges Wort dort verloren hat. Heute verfügt dieser über ein gewisses Meinungsmonopol, da in Bochum nun mal sehr viel über exklusive Informationen läuft. Und auch die wenigen anderen Journalisten versuchen sich zumeist gut zu stellen mit den Entscheidungsträgern im Verein. Man kennt sich halt. Eine personelle Fluktuation wäre hier sicher dringend geboten. 

 

CBO-TOM: Die Reaktionen der Presse sind als übertrieben künstlich? 

 

JS: Ja eindeutig. Solche Rufe sind in anderen Stadien an der Tagesordnung. Selbst ein Uli Hoeneß gesteht den zahlenden Zuschauern zu sich in einer solchen Form zu äußern. Die Öffentlichkeitsarbeit mutet in diesem Fall schon recht provinziell an. Das dann sogar die WAZ auf einen solchen Zug aufspringt, hat mich schon sehr überrascht. 

 

CBO-ROM: Wie sähe die Alternative aus? 

 

JS: Ich empfehle mehr Mut zur Gelassenheit im Umgang mit den heimischen Zuschauern. Das mag im unmittelbaren Abstiegskampf auf den ersten Blick schwierig wirken, zahlt sich aber langfristig aus. Eine Wagenburg ohne die eigenen Fans, quasi den „Wagenachsen“, kann und wird nicht funktionieren – im Gegenteil, ein solches Verhalten kann zu irreparablen Schäden im Verhältnis zwischen Fans und Verein führen. Ein Club wie der VfL Bochum kann auf seine Stammkundschaft nun mal nicht verzichten. Man sollte die Fans so nehmen, wie sie sind, nicht ständig versuchen an ihnen rumzumäkeln oder gar sie zu manipulieren. 

 

CBO-TOM: Zurück zum Fall Maltritz. Sind Art und Inhalt der Kritik berechtigt? 

 

JS (zögert): Ich kann natürlich nur meine persönlichen Gedanken formulieren. Marcel Maltritz gilt schon seit langem als Reizfigur in der Ostkurve. Spätestens seit er vor einigen Jahren gnadenlos ausgepfiffen wurde, weil er dem damaligen Publikumsliebling Fabio Junior als Elfmeterschütze vorgezogen wurde, ist das Verhältnis gespannt. Die damalige Reaktion der Ostkurve war natürlich sehr taktlos, richtetete sich aber meiner Ansicht nach nicht speziell gegen Maltritz. Dieser, und auch die Funktionäre haben es jedoch nicht verstanden, nahmen es persönlich – wie übrigens auch diverse nachfolgende Ereignisse. Dies führte zu einigen, sagen wir unglücklichen Äußerungen seitens des Spielers Maltritz in Richtung Fans und Umfeld. Herr Koller muss sich natürlich die Frage gefallen lassen, ob man einem solchen Spieler einen Gefallen tut, wenn man ihn zum Kapitän macht. 

 

CBO-TOM: Sollte denn ein Kapitän nicht in erster Linie der verlängerte Arm des Trainers auf dem Platz sein? 

 

JS: Auch! Aber ein Kapitän hat heute auch andere charakterliche Attribute mitzubringen, die ihn in puncto Öffentlichkeitsarbeit und situationsbezogener Intelligenz ausmachen. Sportlich gesehen lief in der aktuellen Saison beim Innenverteidiger auch nicht viel zusammen. Im Gegenteil, aus meiner Sicht war er an diversen Gegentoren direkt oder indirekt beteiligt. Ich würde sogar soweit gehen, dass der junge Mavraj für die eindeutig besseren Spiele auf dieser Position gespielt hat… 

 

CBO-TOM: …aber welcher Trainer kann es sich erlauben seinen Kapitän auf die Bank zu setzen? 

 

JS: Marcel Koller ist das beste Beispiel. Vorgänger Thomas Zdebel saß einige Male auf der Bank und wurde auch mehrfach ausgewechselt. Zu seinem eigenen Unwillen! 

 

CBO-TOM: Wer käme als Kandidat für den Posten in Frage? 

 

JS: Keine leichte Frage. Christoph Dabrowski schien mir sehr beflügelt durch die Binde. Er hat auch deutlich Autorität auf dem Platz ausgestrahlt. Die fehlt einem Paul Freier angesichts seiner desolaten Saison natürlich umso mehr, ansonsten wäre er aus Fan-Sicht aufgrund seiner langen VfL-Biographie sicherlich ein geeigneter Kapitän. Auch Philipp Bönig oder Stanislav Sestak könnte ich mit gut vorstellen. 

 

CBO-TOM: Dem Kicker ist zu entnehmen, dass MM in der Halbzeit die Brocken hinschmeissen – und in der Kabine bleiben wollte. Erst nach Zuspruch durch Trainer und Kollegen spielte er weiter. 

 

JS: Solche Berichte sind immer mit Vorsicht zu geniessen. Ich glaube kaum, dass der Kicker an den Halbzeitbesprechungen des VfL teilnimmt. Wenn sich dies so zugetragen hätte, wäre es für jeden VfL-Fan der 40 Stunden in der Woche arbeitet ein Skandal. Unzufriedene Kundschaft gibt es immer. Leider leben Profi-Fußballer sehr oft in ihrer eigenen Welt, ohne die Probleme der Basis eines Vereines oder der Gesellschaft zu realisieren, weil sie die materiellen Nöte selten spüren, daher kann es tatsächlich zu solch irrationalen Reaktionen kommen. Hier wäre es dann allerdings die Aufgabe von Management und Beratern den entsprechenden Spieler wieder zu erden, anstatt das Ganze auch noch der Presse vorzuwerfen – als Dramastoff versteht sich. 

 

CBO-TOM: Eine Anspielung auf Sport-Vorstand Thomas Ernst? 

 

JS: Ich weiß nicht, wer solche Dinge über die Presse lanciert, dass so was nicht von alleine geschieht sollte jedoch allen klar sein, die sich ein wenig mit dem Geschäft auseinandergesetzt haben. Ich habe Ernst eigentlich für einen intellektuell fähigen Mann gehalten. Seine Aussagen fand ich zuletzt allerdings … sagen wir mal befremdlich! 

 

CBO-TOM: Der Fan-Beauftragte Dirk Michalowski spricht vom „besten Kapitän aller Zeiten“ … aus Fan-Sicht! 

 

JS: Und sportlich wollte er sich nicht äußern. Meine Güte, er ist Angestellter des Vereins und steht seit jeher zwischen den Stühlen. Ich nehme ihm sogar ab, dass seine Worte auch seiner Überzeugung entsprechen. Er macht andere Erfahrungen mit den Spielern, als der Zuschauer der die Mannschaft gemeinhin nur am Wochenende sieht. 

 

CBO-TOM: Ex-Trainer Peter Neururer wettert in der BILD-Zeitung gegen die Fans, speziell gegen die Bochumer Ultras. Man habe damals schon seinen Einkauf Lokvenc weggemobbt… 

 

JS: Sich zu jedem Furz von Peter Neururer zu äußern… oh mein Gott… meine schöne Zeit. Seine Aussagen disqualifizieren ihn doch selbst. Er persönlich wurde damals von den Ultras als Lautsprecher und Schaumschläger angefeindet und sucht jetzt die Revanche. Von der aktuellen Materie hat er natürlich keine Ahnung, denn dann wüsste er, dass gerade die Ultras besonders lange zum Trainer Koller gehalten haben, während die halbe Kurve schon seit Monaten dessen Rauswurf forderte. Vielleicht weiß er es auch und lügt wider besserem Wissens. Es gab da doch damals diese netten Konterfeis von ihm mit lange Nase a la Pinoccio. Schlechter Stil in meinen Augen! 

 

CBO-TOM: Die Fans feinden aber auch andere Spieler wie Freier, Bönig oder Schröder an. 

 

JS: Schröder wurde nie persönlich angefeindet. Die Pfiffe richteten sich vielmehr gegen die Wechselpolitik des Trainers. Ein Philipp Bönig ist nun mal kein Fußballgott, reisst sich aber fast immer den Arsch auf und geniesst nach meinem Empfinden in weiten Teilen der Fanszene großen Respekt. Beide Spieler haben übrigens auch Kontakte zu den „mobbenden Ultras“. Freier muss man differenziert betrachten. Er ist ein Opfer der ihn betreffenden hohen Erwartungshaltung. Schwer zu sagen, aber ich denke, das hätte er wissen müssen. Möglicherweise ist er bereits satt und hat innerlich bereits auf Familie umgestellt. Es wäre schade um einen so talentierten Mann wie ihn. Mit seinem langfristig angelegten Vertrag sollte er jedoch noch mal angreifen und versuchen sich durchzubeissen. Ein Darius Wosz hatte auch seine Startschwierigkeiten als er aus Berlin zurückkam. 

 

CBO-TOM: Jan, Vielen Dank für deine Einschätzung! 

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