Eine Stadt fährt (90 Minuten) Achterbahn

Das - oder sowas in der Art - “Eine Stadt… war der Titel “ einer alten WDR-Dokumentation über die VfL-Fans der späten Siebziger Jahre, mit den Leuten von BLUE WHITE PUNK, Waterman und Co.. Ich habe sie nie gesehen, leider, doch ich sah die irre Achterbahnfahrt der Gefühle am Sonntag dem 9.8.2009. Das Stadion war um 15.30 mit 30.000 erwartungsfrohen Leuten gefüllt, die an diesem schwülen Sonntagnachmittag Zeuge einer denkwürdigen Darbietung werden sollten. Dirk nicht, der hatte seine Dauerkarte zu Hause vergessen und sollte daher nur die Schokoladenseite des Bochumspiels sehen. Nach einer laut Reviersport “tollen, teambuildenden und sogar lustigen, aber konzentrierten Vorbereitung”, in der nur die Cervelatwurst im Trainingslager zu kritisieren war, legte der VfL Bochum los wie unter Valium. Ohne Verletzte und mit dem “irren Konkurrenzdruck im Kader” schein kaum ein Bochumer Spieler Bock auf die neue Saison zu haben und auch Gladbach hatte eingentlich eine Anfangsoffensive des Heimteams erwartet, doch die kam nicht. Stattdessen wurde Colautti, Arango und Bobadilla sowie Matmour genug Platz gelassen, um was zu probieren und das tat die Elf von Niederrhein dann auch. So nett eingeladen und durch die Passivität des VfL-Teams ermutigt, ließen die Fohlen erste Warnschüsse ab und ihre 10.000 Fans wurden wach.

Das 0-1 fiel dann nicht unverdient durch den Malle-Dribbler Arango (Vorlage Colauti), der vor Neuville den Vorzug erhalten. Der VfL4u-Micha hatte im Vorbericht sinnigerweise einen “Tango mit Arango” angekündigt und so kam es dann phasenweise auch, die spanischsprachige Angriffsreihe der Mönche durfte wirbeln - unbehelligt. Das Kollertam stand fast  immer zu weit weg und war null Prozent bissig wie gegen Frankfurt . Dass der ungallige VfL etwas aufwachte und durch Maltritz, Epalle und Pferzel zu leichten Chancen kam, stellte sich leider nur als Strohfeuer heraus. Epalle beispielsweise war “stehts bemüht”, aber als 10er ist er einfach oft zu kopflos. Der Rest, vor allem Fuchs, Aza, Dabor (auf der falschen Posi) und die Innenverteidiger gingen in dieser Phase total unter - Noten 5-6 bis dato. Gladbach überrascht von Bochums Konfusion und  nutzte nun beherzt das Chaos im Kollerteam und auf Flanke von Levels köpfte nun Colautti ein, hier halfen Maltritz und Pferzel dem Torhüter Heerwagen zu wenig - wieder ein Kopfballgegentor. Das 0-2 war mittlerweile hochverdient und der Frust der 20.000 Bochumer auf den Rängen wurde spürbar und wich dem Entsetzten als Brouwers einen Heerwagenfehler zum 3-0 ausnutzte - per Kopf versteht sich. Nun kochte die Volksseele im rechten Teil des Stadions (vom Block A aus betrachtet). Die unverständliche Hetzkampagne einiger Journalisten (plus das unhinterfragte Abschreiben der großen Masse der Medienzunft) hatte der Verein eine Anzeige in der Reviersport entgegengesetzt, wo die Verbundenheit (Liebe?) mit den Fans demonstriert werden sollte. Doch was zählt ist auffem Platz. Genau wie Kollers Teambuilding auf dem Säntis von Kälte bestimmt war und raschen Winden, brach nach dem 0-3 die Wut der Fans auf die Mannschaft herein, es gab “Koller raus”-Rufe, Pfiffe dagegen, “wir ham die Schnauze voll”-Rufe und der Mythos vom Bökelberg feierte mit “Spitzenreiter”-Gesängen die temporäre Tabellenführung vor Wolfsburg um 16.12 Uhr. Sollten die Siebziger wieder aufleben und sollte Gladbach endlich nach 1995 endlich wieder im Ruhrstadion siegen? Es sah verdammt danach aus. Dann kam Dirk. Er hatte das alles auf Radio 98,5 gehört und war geschockt wie alle echten Bochumer. Mit ihm und Paule Freier kam die Wende. Vielleicht war ja Koller sogar laut geworden in der Kabine.  Wer weiß…

Die Pause wurde im Block A zu “UFEA-Cuo-Gesängen” genutzt, die Stimmung war friedlich und einige Gladbacher guckten verdutzt, was für eine komische Atmosphäre herrschte. Dass die zweite Halbzeit so anfangen würde, wie die erste endete, lies Schlimmes befürchten.

Bochums Truppe scheint weiterhin auch ein Kopfproblem zu haben, zumindest korrigierte Koller seinen Rautenfehler und brachte Freier für Dabro. Es sollte sich als geeignete taktische Maßnahme erweisen. Doch man sah wieder nur Gladbach spielen, die Außen- und Innenverteidiger wurden von den schnellen Gladbacher Offensiven einfach überrant, wieder tauchte Matmour vor dem Tor von Heerwagen auf, weit und breit kein Bochumer - er zielte, doch er schoß den Keeper nur an. Das 0-4 wäre der Genickbruch gewesen, dann hätte Mönchengladbach wohl das halbe Dutzend voll gemacht und schon am ersten Spieltag wäre die Stimmung total “im Arsch” gewesen. Vorher hatte Aza angedeutet, dass er seine Katastrophenleistung von Halbzeit eins revidieren wollte und war an Heimeroth gescheitert. Das 0-4 fiel zum Glück nicht und Aza schlenzte einen Ball ins Netz zum 1-3, dass Gladbach nicht reagieren konnte, also in Form von Frontzek, dann fiel 48 Sekunden wieder das 2-3 auf ähnliche Art, ein Kunstschußdoppelpack. Geil, da war die Atmo unter den Blau-Weißen wieder da. Dirk hatte in der Halbzeit geunkt, “wir verlieren 2-3 wie letztes Jahr gegen Hertha”. Danach hatte Manager Ernst, dem seine Frau attestiert, “er gucke nicht soviel Fußball”, versprochen, das käme nie wieder vor, so eine Halbzeit. Sonntag war es definitv schlimmer bis 16.45. Mavraj, Concha, Grote und Dedic sowie Johannson werden sich gefragt haben, warum sie noch auf der Bank saßen. Doch nach dem 2-3 war nichts mehr wie vorher.

Die Ostkurve war aufgewacht und die Blau-Weißen stürmten nun mit einer Leidenschaft und Intensität  wie selten, da rieb nicht nur ich verwundert die Augen und vergaß meinen Kater von Robins Geburtstagsfeier und das Wattenscheid-Bändchen um meinen Arm, das mir Ruppi im Sachs übergezogen hatte. Das 3-3 durch Setak lag lange in der Luft, erst mußte noch Reggae-Dante nach einer Notbremse runter, dann stoppte unseren “Sessi” keiner mehr. Die weiße Wand im Westbereich schien erstarrt, Bochum drückte auf das 4-3, aber man hatte seine Lektion gelernt und ging vorsichtiger zu Werke, legte taktische Fouls ein und Frontzek wechselte Gladbachs Offensivschwung raus.

Das 4-3 fiel nicht mehr, obwohl Bochum Chancen hatte. Die Stimmung war wieder gut und stellte somit ein Spiegelbild der vergangenen Spielzeit dar. Dann hätten die Fohlen fast noch das 3-4 germacht, doch Heerwagen rettete mit einem tollen Reflex. Die Gladbacher forderten noch einen Handelfmeter, allerdings war das 0-3 wohl auch abseits, also paßte die Schirileistung insgesamt, genau wie das Spiel zum Auftakt unterhielt, weil beide Abwehrreihen und das Mittelfeld je eine Halbzeit komplett versagten. Dafür war die Offense top. Sah es in der ersten Halbzeit wirklich nach dem 18. Platz aus, wurde es der 6. Platz am 1. Spieltag. Da wird man nicht lange bleiben, vor allem wenn man in Schalke, Leverkusen und Hoffenheim auf Truppen trifft, die einen nach so einer Leistung ganz abschießen. Sonntag aber war das Remis verdient, weil nach 50 Minuten nur Bochum spielte, aber vorher beim 0-4 wäre der Drops gelutscht gewesen.

Der Sonntag ging mit einer guten Grillsession in Harpen zu Ende und vielen Gesprächen über das verrückte Spiel, diese Emotionsachterbahn, die der VfL seinen Fans gerne zeigt. Es war ein tolles Erlebnis mit einer fetten Warnung. Ernst sagte, er sei um zwei Jahre gealtert. Alltäglich ist was anderes.

Tom, CB’93, Sektion Rheinland ‘04

 

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