Chantalle, gib dem Kevin sein Nintendo zurück!

Historische Momente im Vereinsleben des VfL Bochum 1848 e.V. gab es ein paar, wenn auch weniger als bei manchen Grossclubs, am Montag war so einer, definitiv. Was um 18.30 mit einer riesigen Schlange vor dem Ruhrkongress begann, sollte eine “kleine” Revolution ohne Revolutionäre werden, “ein Zusammenbrechen des alten Systems” hinein “in eine ungewisse, aber sicher neue Zukunft des VfL”. Man sagt oft, sowas habe ich geahnt, das werden aber vom Montag ehrlicherweise recht wenige Mitglieder von sich behaupten. Es war eine seltsame Eigendynamik, die mit einer Saalüberfüllung begann. Strenggenommen hatte ich wenig Lust auf die Veranstaltung, ich war auch noch nie auf einer JHV und ich stellte sie mir ehrlicherweise zeimlich dröge vor. Gut, als ich reinkam mit Olli K., wurden wir von dem gelangweilten Team und 18 jährigen Hostessen begrüßt, aber drinnen sollte nur für die Hostessen Platz sein. Na, für wen auch sonst! Der Saal war mit offziellen 657 Mitgliedern prall gefüllt, eigentlich ein Grund für Vorstand und Aufsichtsrat sich zu freuen, aber Thomas Ernst sah aus wie ein Abiturient mit Prüfungsamt vor der Mathe-LK-Klausur, fehlte nur das Glücksstofftier. Alle wussten es würde Kritik geben, aber was dann kam…

Es war also echt eine komische Atmosphäre im Raum, aber es war dennoch ziemlich ruhig, ich saß auf der rechten Seite des Saals. Die typischen Punkte einer JHV werden nach Tagesordnung abgearbeitet und so begann alles recht langsam und der Bericht des Vorstandes von Ernst und auch Schwenken wurde von Teilen des Publikums mit einer stillen Hähme und passivem Frust begleitet. Ich beobachtete die Tribüne bei Ernst Rede und sah Christa Ternow, die Sekretärin mit noch mehr Amtsjahren als Werner Altegoer und Wüst zusammen - und auch das sah nicht nach Revolution aus, nicht mal nach Revolte. Daneben saß eine Blondine mit Namen Frau Gemp, die ich auf meiner Tagesordnung mit Herzchen versah, so langweilig waren Ernst Ausführungen zur Nachwuchsförderung. Bei dem Part zur Orgastruktur der Frauen-WM sah ich auf dem Tableau tatsächlich einen Verweis zum GENDERbeauftragten und tauchte kurz ab in die Welt von Walgesängen und Panflöten. Man, so eine Scheiße den Leuten zu erzählen, auch wenn’s der fucking Job des Vorstandes ist, zeugt von zeimlicher Instinktlosigkeit und Thomas Ernst wird sicher die Dortmunder vor Neid auf uns platzen lassen, denn, hey, in Bochum haben wir 2011 die Frauen WM und - neue Toiletten. Wahnsinn.

Gut, wir sind abgestiegen und grauer 11. in der 2. Liga, aber Ärmel hochkrempeln, zusammenrücken  und  - O-Ton Thomas Gustl Ernst: “Ich bin kein Schauspieler!” und der indirekte Vorwurf auf den Vorgänger Kuntz war so hilflos wie Franz Beckenbauer dumme Sätze von 1977 nachzuweisen oder ein schlechtes Spiel bei Cosmos Ney York. Diese Ignoranz der Gefühle und der Stimmung der enttäuschten Mitglieder gegenüber konnte auch Schwenken mit Witzchen nicht überspielen - und Werner Altegoer indes, das wußte man als einziges vorher, würde es gar nicht erst versuchen, die Leute zu begeistern. Ein paar oberflächliche Angebote, ein bischen Eingehen auf Kritik (”Wir sind alle enttäuscht!”) und beschäftigen von “wir sind der VfL” und wir schaukeln das Ding schon, ist wohl 30-40 Jahre geübte Routine. Und es ging so schief, wie das Endspiel gegen Hannover 96.

Die Mitglieder, die um 21.30 in die Aussprache gingen, klatschten Ernst ihre fachliche und auch persönliche Verachtung ins Gesicht und der Mann sah aus wie Donald Duck auf Valium. Dazu kamen auch geile Skurillitäten zum Vorschein, wie der Typ, der seine Dauerkarte zurückgab, weil Gustl ihn nicht zurückrufen wollte. Auf der rechten Seite, wo ich saß, fantasierte man, was er wohl von Gustl gewollt habe. Dazu der Typ, der Ultras beschimpfte und ihren Rauswurf forderte mit dem Hinweis auf Känguru-Schuhe, in denen man Rauchplättchen verstecken kann. Das passte zur schlechten Routine der Veranstaltung, dass Einzelne unsinnige Einwürfe hatten, dazu kamen sinnvolle Kritik und Allgemeinplätze. Es brodelte. Aber man hätte es handeln können. Die Situation sollte eine Eigendynamik entwickeln, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.

Nun kam die Entlastung des Aufsichtsrates, die einigen in ihrer Tiefe klar war, anderen nicht, aber sie wäre knapp durchgegangen, so oder so. Doch Werner als Zeremonienmeister zählte bei der Entlastung des Vorstandes erst die Enthaltungen, dann die Neins und der Rest war ein Ja, gemessen an der Teilnehmerzahl am Anfang. Milchmädchenrechnung nennt man sowas, abgeleitet von Wieschermanns Rat, der aussah wie der Typ aus der Trigemawerbung. Alles das hat mich visuell verwirrt.

Aber nicht nur mich, Werner machte das auch wieder bei der Vorstandsentlastung und brachte es auf stolze 257 Gegenstimmen im ersten Wahlgang, dazu Enthaltungen und theoretisch auf etwas mehr Jastimmen. Aber die Gegenprobe verweigerte er schlicht - vorerst. Tumulte, Zwischenrufe, Pohl rannte aufgeregt durch den Saal, die Mitglieder wie Migfeld u.a. stellten Anträge zu geheimer Wahl, Altegoer wirkte blass und auf einmal amtsmüde und stellte nun nach langen Diskussionen ein neues Auszählen anheim und - oh Wunder - hatte die Leute nun so abgefuckt, dass mehr als 300 Gegenstimmen kamen. Ein Ohrfeige für den Aufsichtsrat, den man so rechtlich nicht entlastet hatte, nicht, “weil man ihm Inkorrektheit vorzuwerfen hatte”, bei 230.000 Euro plus, nein, man war einfach in dieser Situation mit der Gesamtsituation irgendwie irrational nicht zufrieden. Bätsch.

Der Boss entsetzt, er verkündete ab sofort das Ende seiner 30 jährigen Arbeit beim VfL. Staunen, Jubel, Entsetzen, alles war zu Finden, vor allem Ratlosigkeit und Unglauben. Viele fanden die Rede von frisch gewählten Goosens sehr ehrlich und er hat wohl mehr verstanden als der Restvorstand, der mitzurücktrat, ging oder einfach schwieg. Altegoer saß vorne und konnte die Eigendynamik des Vorganges auch nicht fassen.

Ich musste gehen, konnte ebenfalls nicht fassen, was ich gesehen hatte und war schlicht sprachlos. Es war “history in the making”, wie Jan vor mir es nannte, oder einfach ein Wink der Vereinsgeschichte, die Günna P zum Untergangsfanal an die Wand malte, in seiner einmaligen Art.

Altegoer wirkte auf der Bühne wie ein Fünfjähriger, dem man sein Spielzeug weggenommen hatte und er nun behauptete, es sei eh kaputt und er wolle es nicht mehr. Ich kann natürlich sagen, dass so ein Abgang unwürdig war, aber auch mit seinem Stolz, Trotz und der Unfähigkeit zur Empathie begründet werden kann.

Die anderen folgten ihm und liessen den VfL allein. Vielleicht ist es besser so, denn sie schienen igendwie keine rechte Lust auf dieses “Stahlbad der Enttäuschten” zu haben und Gustl freut sich nun ein wenig mehr auf die Frauen-WM im eigenen Land.

Ich hab jetzt zweimal drüber geschlafen und bin immer noch verwirrt. Das wäre doch eine gute Qualifikation für die Orgaleitung fürs nächste Jahr JHV…

 

Tom, CB’93

 

 

     

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