Identität

Wer aus einer Trabantenstadt aus den Siebzigern kommt, kennt das vielleicht: Lebendige Distopie, alles ist viel zu riesig, unübersichtlich, grau, erscheint vertraut (vermüllt) und fremd zugleich - und dennoch entsteht der Wunsch nach einer Heimat genau dort. Dieses Szenario, das es aber so in vielen europäischen Städten gibt und die sich, obwohl es sich nicht perfekt gleicht, doch ähnliche Probleme generiert. Playboy 51 oder Sido lassen grüßen….
Wenn Bochum am Samstag 13.00 auf denSt Pauli trifft, dann kommt vielleicht ein VfL-Fan-Tourist aus der Hustadt und trifft auf einen besser situierten St. Pauli-Anhänger aus dem schönen Hamburger Umland nördlich von Wedel/Blankenese, der dem gesellschaftlichen Underdog die Daumen drückt, zu dem er selbst nie gehörte. Und das ist für ihn im Fußballbusiness der FC St. Pauli, nicht der bürgerlich-bräsige HSV, der das Relegationstriple verzweifelt zu vermeiden versucht! Aber muss Pt. Pauli links sein und der HSV rechts? Ist die heutige Welt nur schwarz und weiß? Und warum gibt es kein grau-grau dazwischen? Warum ist Bochum nur graue Maus, Liftboys und zieht daher so wenig Fans bei Heimspielen?
Die Braun-Weißen begannen 1978 in der Bundesliga authentisch, grau und schlecht, wurden ab 1987 zum Kultclub der Punkszene: aus grau wurde bunt über Nacht. Das sind sie immer noch und wenn am Samstag über 30.000 Zuschauer das Duell um Platz 4 sehen wollen, geht es um Ehre, Ranking und TV-Gelder, weniger um Fragen der eigenen Identität. Warum ist Lokalpatriotismus so toll oder unlogische Vereinsliebe, wenn man doch politisch in Pauli, die “nie wieder Deutschland Schiene” fährt? Oder ist das nur mein Klischee? Ist es logisch, dann die Hools von Hansa Rostock zu hassen und den kleinen, unerfolgreichen VfL Bochum “irgendwie” sympathisch zu finden? Ist Bochum ein “echter” Malocherclub und St. Pauli nur “szenealternativ” oder gibt’s was dazwischen, zwischen dem kreativen Argenturensohn und arbeitslosem Säufer. Ich arbeite nicht im Stahlwerk und der Hamburger Szeneclubbetreiber morgen mag vielleicht echte Dönninghaus-Wurst lieber als vegan essen im Einstein! Drehen wir die ewiggleichen Klischees nur bis sie uns passen? Haben sie nichts mit uns persönlich zu tun? Halte ich für Liverpool gegen Dortmund, gegen den Deutschen Club, im “Malocherduell” (-was das mit Arbeitern von heute zu tun hat, ist mir ein Rätsel), weil ich den großen, schwarz-gelben Nachbarn nicht mag - oder weil Kloppo cool ist? Der emotionale Kloppo ist auch so ein Klischee! Oder bin ich mit meinem 4-3 Torjubel auch nur Anti-BVB Mainstream? Ist das Unfug, wenn dieses Duell in den Medien zum Megahype wird und Engländer mit Rollköfferchen rumfahren, die meinen sie wären “Red Army Scum”?

Ich bin einfach zufällig Fan des Clubs der Stadt aus der ich (ohne Zutun) komme, viel mehr steckt da garnicht hinter? Kann man ernsthaft stolz sein, “ein Schalker zu sein” oder ist das Blödsinn - also doppelter Blödsinn - wegen Schalke und wegen der fehlenden Eigenleistung? Oder ist das eine Religion…..total an den Haaren herbeigezogen… und wenn Zettelewald morgen in der PK den altklugen, pedantischen Regeldeutschen gibt, ist unser Gertjan alles andere als der lustige, lockere Holländer - so viel zum Klischee. Wer ist morgen zufrieden? Ich tippe niemand!
Wie werden die akribischen Systeme morgen zusammenkommen? Hamburgs gute Offensive mit einem Torwart, der 15 Spiele zu null schaffte gegen Terodde, der “torgeil” ist? “Torgeil” ist auch so ein Journalistenunfug, torgefährlich trifft es besser!
Wird Ratsche aus Langendreer seine alten Bochumer mit Assists ärgern? Das 5-1 im Mai ist noch allen im Gedächtnis (mir wegen der Tochter) und war dennoch Abfuck deluxe.
Das Hinspiel 2015 war sinnbildlich für die verpasste Chance des Bochumer Aufstiegs 2016…nur 1-1, kein Heimsieg und nun muss 100% ein Sieg her. Aber was heißt das schon, wenn Nürberg nicht verliert?
RBL und Freiburg steigen auf, das ist fast Fakt und ich werde beide nicht sonderlich vermissen. In der Zeit der realen äußerlichen Angleichung bei steigendem Wohlstandsgefälle, wird auch die Bundesliga ungerechter.
Verbeek und Lienen versuchen beide wacker dagegenzuhalten und haben den Fußball ihrer Teams verbessert… das sieht man: Während Ewald morgen “Full House” aufbietet, werden 3000 Bochum die Kulttour Hamburg aufleben lassen. Oder sind wir dann auch nur Eventtouristen? Ich fürchte, es wird ein brutales Remis. Die Aufholjagd hat wirklich was von “Eddie the eagle”, aber ein Sieg am Millerntor, würde das Freitagsspiel gegen Karlsruhe leichter machen und mich froher. Ziemlich irrational ein VfL-Fan on tour zu sein, aber auch authentisch ein Bochumer zu sein, find ich, ohne zu sehr selbst Klischee zu werden. Morgen geht’s nicht um Astra vs. Fiege oder um Weltanschauungen, morgen geht’s nur um drei Punkte und das ist genadenlos real.

Aber gegen das ganze CL-Gedöns ist das Spiel morgen schrecklich authentisch, soviel dass es weh tut. Ich fürchte nur, Ewald sieht das anders. Tut er immer. Aus Prinzip ;-) ))

Tom,CB’93

Tip: 2-2

Samstag, 16.04.16, 13:00 Uhr, Millerntor-Stadion

Schiedsrichter: Florian Meyer (Burgdorf, pfiff den VfL zuletzt beim 3:0 gegen Duisburg am 2. Spieltag)
Assistenten: Christoph Bornhorst (Damme), Johann Pfeifer (Rodgau)
4. Offizieller: Daniel Riehl (Bremen)

Hinspiel: VfL -STP 1:1 (30.10.15; Terodde; Kalla)

Voraussichtliche Aufstellungen:
STP: Himmelmann - Buballa, Ziereis, Sobiech, Hornschuh - Buchtmann, Rzatkowski, Alushi, Nehrig, Sobota - Thy
VfL: Riemann - Maria, Bastians, Fabian, Celozzi - Terrazzino, Losilla, Eisfeld, Hoogland, Bulut - Terodde

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