Tod eines ULTRA

Eigentlich wollten wir hier NIE, obgleich selbst politische Menschen, direkt politische Statements verbreiten. Sicher, wir haben unsere positive Beziehung zum eigenen Land (und zum ADLER-TEAM) bewußt betont (wie die COMMANDO-Griechen halt ihr Land mögen!), aber das ist ja nur in Deutschland ein "politisches Statement"  - in Italien oder Frankreich völlig normal. Ein Mitglied der Roten Brigaden hat wohl eine andere Beziehung zu Italien, als die "kopflastige" RAF zu Deutschland. Aber darum soll es hier nicht gehen, obwohl das eigentlich auch viel mit Fußball zu tun hat. 

Es geht um was anderes, äußerst wichtiges: Es geht letztendlich um den "neuen" Turbo-Kapitalismus seit 1990, seit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus in Osteuropa. Es geht (auch) um die ANTI-Globalisierungsproteste in Seattle, Davos, Prag, Salzburg und Genua. Die neue, völlig überraschende soziale Bewegung trieb am Wochenende 150.000 Menschen nach Genau, davon auch zahlreiche gewaltbereite Autonome, Chaoten und Fußballultras (wie Carlo, ein in Genau wohnender ULTRA des AS Roma, verfeindet mit den rechtslastigen LAZIO-Anhängern). Es waren kirchliche Gruppen, Veganer, Gewerkschaften, Konservative, Girlies und Kiddies da, um ihre Wut gegen die "Diktatur des Profits" herauszuschreien oder einfach nur Fetz zu machen. Ob nun ehrlich gemeint von allen Demonstranten, von der Polizei Berlusconis selbst hervorgerufen oder Vorwand für "geile" Krawalle, oder nicht, sie trafen den Nerv der verunsicherten Weltbürger aus den unterschiedlichesten Gründen: Die Angst vor dem NEOLIBERALISMUS ist sehr begründet und wird von Rechtskonservativen ebenso geteilt wie von Sympatisanten der Action Direct. Eine breite Front  gegen einen unsichtbaren schier allmächtigen FEIND: Er heißt nicht mehr "freie Marktwirtschaft", sondern "Herrschaft der Ökonomie", für die Verlierer ist es schon fast eine "Terrorherrschaft der Gewinnmaximierung" und fortschreitende Umweltzerstörung. Es scheint schon zu spät! Nun ist die Dritte Welt seit jeher Verlierer, sie ist es jetzt noch mehr. Immer weniger besitzen immer mehr, das ist eine schlichte Tatsache, an denen auch unpolitische Fans immer weniger vorbei kommen, selbst wenn sie organisierte Politik meiden wie der Teufel das Weihwasser. Sie sehen es im Sport und beginnen da zu hassen, was die Politik im Großen bewirkt.

Carlo hat dies vielleicht auch interessiert, er mochte Carabinieri wohl nicht, und er griff einen Jeep mit dem Feuerlöscher an, dabei wurde er erschossen, der Fan des aktuellen italienischen Meisters. Er wollte als ULTRA vermutlich seinen Verein vom Kommerz losreissen, seine Fansszene vorne sehen, LAZIO hassen oder VERONA, und er war wohl kein Gewinner des neuen Aktienbooms, der schon wieder vorbei ist. Der junge Polizist erschoss ihn, der Kollege fuhr noch mal im Rückwärtsgang drüber. Panik oder Absicht? 

Die Polizei in Europa hat im Fußball oft ausprobiert, was sie dann auch an anderen gesellschaftlichen Gruppen praktizierte. Ausreisverbot, Kessel, Gewahrsamnahme, Hausbesuche, Gefahrenansprachen, Festsetzen von Leuten,Verbote, Razzien. Bei Hools und Skins fanden es selbst Alt- 68 gut (NPD-Verbot durchgestzt durch die Gegner des Berufsverbots in den Sechzigern!), seit Genua sieht es wieder etwas anders aus. Ströbele reist wieder zu Protestlern, die Politiker sorgen sich um die BASIS vor der nächsten großen Krise der Wirtschaft und die kommt irgendwann. 

Ein Ultra starb, diesmal nimmt die Welt es wahr und grummelt. Die rot-gelbe Rom-Fahne auf dem Sarg. Gut, er griff mit Waffe an, der Polizist handelte in Notwehr. Aber die zahlreichen Mißhandlungen normaler Demonstranten beschäftigten nicht nur SPIEGEL und TAZ, sondern auch große Teile der internationalen Presse, die Polizei und die verantwortliche Politik müssen sich rechtfertigen, Rechtsaußen Silvio wird von neuen Nachfolgedemonstrationen als Schuldiger festgemacht. 

Einerseits repressive Polizeimaßnahmen, andererseits weniger Bürgerrechte, selbst Konservativen geht das mittlerweile zuweit, doch haben POLITIKER und STAATEN noch die Macht in dieser Welt, wenn MICROSOFT reicher ist als Schweden und drei Mineralölmultis EXXON, BP, SHELL mehr die POLITIK zu bestimmen scheinen, als der amerikanische Legasteniker-Präsident ("Was bitte ist Kohlendioxid?"). Die Wut wächst, provoziert durch "die Arroganz des Kapitals", der "Zasterkoglomerate", auch im Fußball.  Mein Verein - der Großkonzern, heißt es nicht nur  in Dortmund und Schalke, gestern noch Hort des sozialen Ausgleichs, morgen ein schönes, profitables Unternehmen - eine AG. ARENEN, FAN-KAUFhäuser und der-größte-SCHEISS-vom-MERCHANDISE. Die Zeit als Start-up, Aktienordern, Telekommunikation noch für manche Hoffnung bedeutete, war schnell vorbei, wieder mal bedeutet" freies Kapital, nicht freie Welt" und die Worte von Karl Marx werden wieder bedeutender: "Es wird keinen Mittelstand mehr geben, nur ein paar große Firmen werden die Welt beherrschen." 

Es ist schon so.

Das wurde im vorigen Jahrhundert schon vorrausgesagt und tritt ein. 

AUCH im Fußball werden die Großen immer Größer, die Freiburg, die Cottbuser, Bochums, Unterhachings oder Paulis sind nur noch Gimmick in der Welt von WAL MART, Ford, Mc DONALDS, VISA und Coca Cola, demnächst vielleicht Namensgeber der Bundesliga. Championsleague ist Zasterliga. Fußball nur noch im Pay-TV (BAFF ruft zum Premiereboykott auf), Börsenspekulanten als Heilsbringer, Spieler als Kapital, Rechtevermarkter verbieten Fußball in den ARD-Nachrichten, der Fußball nur ein Spiegelbild der aufgewirbelten, individualisierten Gesellschaft.  Die Leute wollen sich in ihrer Freizeit erholen von Key Account Managern, Softwareexperten, Supervisoren und anderen "Dienstleistungsschwächlingen" und sehen die Fußballer von heute und finden in ihnen ihre eigene ("SCHEIß!")-Welt wieder. Totale Durchdringung des Lebens, Musik verkauft, Fußball verkauft, was ist noch frei vom Drang nach Kohle? Bernhard Dietz...???  

Jose Bove wird zum Helden einer neuen sozialen Bewegung, weil er mit dem Traktor eine MC Donalds-Filiale einreißt, Pierre Bourdieu zum Theoretiker der ANTI-Globalisierungsprotestler aller Schichten. Und im Fußball versuchen die ULTRAS das Spiel den Konzernen, korrupten Funktionären und dem POLIZEIdiktat zu entreißen. Reclaim the Game!!!

Es gelingt nicht, verlieren gegen die Großkonzerne bzw. die großen VEREINE in Serie wird zu Mode. Die Börsenkurse und Wechselkurse nerven vor den Nachrichten, Ran wird zum modernen Bundesligabörsenmagazin, damit Kirch noch mehr Premierebierbäuche empfangen kann. Das Leben aus 9 Kameraperspektiven, das steigt die Wut, auch bei KOMMUNISTENverächtern. 

Ausbaden muß es u.a. die Polizei und verliert, wie in Genua die Nerven, und steigert die Gewalt der Demonstranten, in der italienischen Hafenstadt hatten die "tutti biancis" Schilder, Gasmasken, Schutzpolster zum Kampf gegen den Staat als Erfüllungsgehilfen der Konzerne. 

Und ein Mensch starb sinnlos, ein Leben eines anderen ist ruiniert. Die Gewinner dieser Welt sitzen in Steueroasen wie der Schweiz, Monaco, Lichtenstein, Jersey oder handeln wie Ralf Schuhmacher Sonderkonditionen aus, die sonst kein Normalsterblicher erhält.  

Gewalt liegt darin, Menschen zu verletzen (und ist schlimm!), aber auch in den ökonomischen Verhältnissen, auch als unpolitischer Mensch muß man das erkennen. Und auch (oder gerade!)  im Fußball regiert nur noch das Geld. Da wirkt der Enatz als Don Quichtotte. 

Reite und siege am Sonntag.

Tom, COMMANDO'93

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