Ich will kein Pappaufsteller sein

Ich bin zwar VfL-Fan, aber am Nordpark war ich zuletzt 2011 in der Relegation - als ein Gast von Borussia Mönchengladbach. Wenn man kein FC- oder F95-Fan ist, muss man zugeben, dass Gladbach in den letzten neun Jahren Perls Geschenk gut genutzt hat, sich in der Bundesliga zu etablieren und zu festigen. BMG spielte in der Hinrunde fast um die deutsche Meisterschaft mit und war eine positive Überraschung bis kurz vor Corona. Eberl etablierte sich vom Manager-Nobody zum Superstar der Gilde und als Nichtbetroffener fragte man sich, was den FC Bayern München bewegte, Brazzo statt Eberl zum Manager zu machen. Da hätte der FCB besser mal Geld angelegt, als an weiteren, manchmal etwas phantasielosen, überteuerten Transfers. Aber gut, dass soll einen Bochumfan nur am Rande kümmern. Auch die Elf vom Niederrhein braucht in Coronazeiten frisches Geld durch Geisterspiele, auch weil Plea, Bentaleb, Hoffmann und Co nicht für Erdnüsse und Borussia spielen, aber schon etwas weniger fordern -als Sanes und Neuers Berater.

Nun kann also der geneigte Borussiafans von/für sich [für einen guten Zweck] und seine Liebsten ein Foto machen und dieses wird dann als Pappabbild auf dem Nordpark zu den möglichen, weiteren Geisterspielen als Kulisse ab Mitte Mai aufgestellt. Angeblich wollen ausländische Medien sogar kommen, um zu sehen, was sich da tut. “Der Fan als Pappkamerad” wäre in Zeiten des unsicheren Einnahmen eine einerseits innovative Idee, wenn man das aus der Sicht der Vereine sehen würden. Ich will mich auch nicht auf einen Verein einschießen, denn jeder, wirklich jeder Club sucht ja Wege Einnahmen zu generieren. Jeder Club will anders sein und ist im Gedanken des Kommerzes. Und Gladbach steht hier für 38 Proficlubs, die emotional ihre Fans fordern, um ihnen über aktuell zuschauerlose Zeiten zu helfen. Das ist ja nun mal der Punkt plötzlich alle darüber reden, dass heute die Proficlubs der 1. und 2. Liga oftmals mittelständische Unternehmen mit bis zu 1000 Angestellten sind- Und dann sucht man als Tarditionsverein Wege aus der Krise und das geht nur mit der Kauffreudigkeit der treuen Fans dieser Clubs.

Klar haben die Skyabos, kaufen Trikots - und sonst Dauerkarten - und wollen sich dann noch als besonders leutseliges Mitglied der Fohlen ein Pappaufsteller sein, weil man bei der Gladbacher Meisterschaft vor 50 Jahren vielleicht noch ein Baby war. Diese Nostalgie, die Erinnerung an Helden aus der Frühzeit vermarkten die Clubs ohne Ende (fast alle!) und Bochum macht das auch so gut es geht, über Bayern, Dortmund und Schalke wollen wir garnicht reden, beim BVB gibt’s gar Silikon Backformen im zweistöckigen Fankaufhaus. Aber jeder Club handelt im Prinzip gleich. Klar, diese Vereine betonen einerseits ihren erdigen Charakter (”Als der Weisweiler Sie Arschloch zu mir sagte!”), dann sind sie wieder plötzlich nur Unternehmen, die akut Einnahmen brauchen (was wiederum den Hardcorefan weit weniger emotionalisieren würde) und die Politik und Fans um Hilfe bitten - und ja, es geht nicht nur um gepuderte Profis mit schrägem Look, es geht um den Job der Sekretärin oder des Fanbeauftragten. Denen gönne ich ihren Job von Herzen. Aber irgendwie bin ich immer noch für einen Saisonabbruch….

Aber der Pappaufsteller als Fan symbolisiert sehr gut das, was Fußballfansein heute ist - für die Bilanzbuchhalter der Vereine - der bezahlte, stumme und harmlose Treuebeweis im Block, antiseptisch, eindimensional, anstatt der Unbelehrbaren der Achtziger mit Chevingnon und Blue System Pullis- am alten Bökelberg. Die hießen Sturmtruppen und hätten vermutlich die Pappkameraden in den Gästeblock geworfen und Uwe Kamps hätte gegrinst. Das ist fast 40 Jahre her und offensichtlich ist viel passiert, jeder muss sich fragen, welche Rolle er dabei spielt. Gladbach ist überall…

Die Ultras werden von manchen Medienleuten, Neoliberalen und Funktionären als die aktuelle Nein-Fraktion mit eben der Attitüde der alten Hools beschrieben, mit schlechten Eigenschaften versehen, um Kritik zu ersticken: Bockig, sperrig und unrealistisch.

Aber wenn nun - ab Mitte Mai oder zum Ende - das Ganze wieder losgeht, dann soll mir doch keiner sagen die Fans, meinetwegen die am Niederrhein, wollen das so. Die Fans sind natürlich keine homogene Gruppe und es gibt bestimmt viele Leute, die lieber das Geisterdrama sehen, als 20 von 34 Proficlubs, die pleite gehen. Jeder Fan, auch die Ultras, wollen das ihr Verein gerettet wird, nicht gerade von Alice Weidel, Putin oder Mateschitz, aber von irgendwem, dem weißen Ritter. Und so frisst man den ganzen Driß und sagt auch zu Pappaufstellern ja, zum Rückerstattungsverzicht, zum Geißbock aus Titan, zum Sondertrikot, zum größten Scheiß von Merchandise, was am Ende auch der Pauli Totenkopf ist. Aber zu sagen, “der Fan will”,was die Geschäftsführung will, das stimmt halt fast nie. Und dazu kommt der mickrige Anteil an Spielersolidarität.

Klar, spreche ich mit einer aus Nostalgie aufgeladenen Idee und klar, ist das nicht die Sicht der Proficlubs. Ich bin auch bereit das mitzutragen bis zu einem Grad, wo das erträglich erscheint, aber ist es das im Mai 2020 noch?

Die Nationalmannschaft oder die Premiere League sind beste Beispiele dafür - wie seit Anfang der Neunziger das Publikum zur sedierten Staffage wurde und die Bundesliga zieht schrittweise nach. Mag ja sein, dass eine böse Insolvenz für viele Clubs droht, mag sein, dass 50+1 fallen könnte, aber muss ich als Bochumfan davor wirklich Angst haben - oder doch eher Spielerberater, Spielerfrauen wie Cathy Hummels und die vom TV gestopfte Finanzmaschine Bundesliga oder auch die zweite und dritte Liga.

Also, Holger Fach jonglierte mal als Gladbachtrainer die Murmel vor der Bochumkurve und wurde beschimpft, wenn wir heute noch in Liga eins wären sind alle drei Dinge ausgemustert: der Bökelberg, Holger Fach und die nun auch temporär die Fans.

Für Dieter Kürten schön, bald hat man nur noch Fußball pur, aber dann nicht unbedingt Gladbach Bayern wie in den Siebzigern, sonst Wolfsburg gegen Mainz, ein Geisterspiel vor TV-Konsumenten und das ist dann echt nicht mehr meins, sorry.

Dazu braucht man kein Punk, kein Ultra zu sein, dazu reicht der normale Menschenverstand.

Und das einzige, worum sich Seifert und Co sorgen, ist, dass Ultras von NWO und Co. zu Stadion gehen könnten und etwas Rummel machen könnten - wie nach dem 2-1 gegen Köln. Wovor haben wir in Zukunft Angst, das Papphennes umkippt?

Also echt, da bin ich raus. Die Klatschpappe, die gekaufte Choreo, die gemalte Kulisse, macht das bitte ohne mich.

Tom; CB`93

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