Die Maßnahme

“Die Maßnahme” von Bertholt Brecht erzählt von vier Agitatoren, die nunmehr nach erfolgter Propagandamission in chinesischen Gefilden vor einem Parteigericht stehen. Grund der Anklage ist der Sachverhalt, dass die vier Agitatoren auf ihren Propagandafeldzügen einen Genossen erschießen mussten. Die Erschießung des Revolutionärs, der, wie Brecht schreibt, “gefühlsmäßig ein Revolutionär war, aber nicht genügend Disziplin hielt”, wird nun als Maßnahme im revolutionären Kampf geschildert. In ihrer Tat liegt kein Verfahren zugrunde, das Gegenstand einer Verhandlung sein könnte, sondern eine unbedingte revolutionäre Notwendigkeit. Das ist der FAZ vom 13. Mai, Forschung und Lehre” entnommen und hat recht wenig mit dem ersten Geisterheimspiel des VfL Bochum gegen Heidenheim zu tun. Aber wenn man in der Abiaufsicht etwas Zeit hat, kann man ja sekundäre Quellen anzapfen.
Die “Situation”, so schreibt Carl Schmitt im genannten Buch “Legalität und Legitimität”, muss “so wenig berechenbar und abnorm sein, dass die gesetzliche Normierung ihren früheren Charakter verliert und zur bloßen Maßnahme wird”.
Der Re-Start als Maßnahme der DFL in Zeiten von Corona ist dagegen zwar legitim und legal, aber sie scheint in ihrer pekuniären Notwendigkeit zugleich abnorm und notwendig? Hier entscheidet - anders als bei Brecht - das Individuum, der Fan, nach eigener Maßgabe, nicht als Revolutionär, ganz unabhängig wie wichtig der Neustart mit Geisterspielen für die Vereine, AGs und KGaAs usw. sein mag. Ich hab übrigens drei Karten für das Spiel erworben, um es im Fernsehen zu sehen. Das ist entweder sehr idealistisch oder Abgrund tief dumm.

Nach 60 Tagen, nach Bochums 4-4 zu Hause gegen SVS und dem 0-0 bei Darmstadt, beginnt Bochum wie alle 36 Proficlubs einen totalen Neustart in prekärer sportlicher und zugleich auch dramatisch schlechter wirtschaftlicher Lage. Die lange Pause und die Auszeit der Fans vom Abstiegskampf ist nun Samstag vorbei und Bochum startet erneut als 15. der Tabelle gegen den Sensationsvierten aus Heidenheim. Es ist David gegen Goliath, aber nur in der Tabelle? Es klingt schon daher paradox, weil man sich in Bochum eher als Vierter sieht - als die Männer von der Ostalb, die aber einfach einen guten Trainer, unterschätzte Spieler und ein gutes Konzept haben, was der benachbarte VfB Stuttgart, obschon 2., auch gerne hätte. Die Mischung aus reicher Provinz, Understatement und einem guten Plan nach oben - plus die Namen Schmidt und Schnatterer, der sich gegen Bochum traditionell gerne auf der Anzeigentafel als Torschütze verewigt, reicht um bei Bochums Fans eine gewisse Beklemmung auszulösen.

Bochum hat, wenn man so will, einen kleinen Startvorteil gegenüber Dresdens Quarantäne, aber verliert den Vorteil der treuen eigenen Fans gegenüber Wehen Wiesbaden, KSC bleibt gleich stark underdog. Die sind wirtschaftlich noch bedrohter und stehen sportlich unter uns zum Re-Start, zumindest bis zum Spielende am Samstag um 14.45 Uhr im menschenleeren Ruhrstadion. Das wird schon gewöhnungsbedürftig, viermal bleibt das Stadion komplett leer, fünfmal darf man nicht auswärts reisen, was macht das mit Buddes Serie?

Thomas Reis hat mit Bapoh und Janelt nur 2 Leute aus dem 29 Mann Kader nicht fit zum (re-)Start und so darf man gespannt sein, ob Sesis Winterneuzugänge Zulj und Lampropoulos in der Startelf im ersten Heimspiel mit nur 300 Livezeugen stehen. Günther Pohl muss diesmal wohl selbst Fußball auf SKY gucken und neben vielen Possen rund ums Spiel an sich, fühlt es sich für ihn an, wie eine Maßnahme aus dem Stück “Maßnahme”. Aber auch für die Fans ergeben sich skurile Situationen.

Die einen brechen nun endlich mit dem Kommerzsystem, andere wollen sich heimlich treffen, wieder andere wollen Banner aufhängen, obwohl sie ja nicht im Stadion, ihrem Wohnzimmer, sind, sondern vermutlich allein zu Hause wie einst Kevin. Die letzten zwei Monate haben viele Gewissheiten ins Taumeln gebracht, z.B. dass man einfach keinen Lust hat auf ein Heimspiel des VfL, egal wie es um den Club steht. Vielen, nicht allen, geht die Vorfreude ab, viele werden das Spiel schlicht ignorieren (wie die Ultras es bzgl. des umstrittenen Restarts verlauten ließen). Als ich gefragt wurde, ob ich zum Gucken nach Bochum komme (ich verrate nicht wohin), hab ich erst zu- und dann abgesagt, weil meine Frau fragte, wer denn noch mitgucke. Ja, das ist in Zeiten von Corona die Frage nach den Ansteckungsmultiplikatoren, mein Gott vor drei Monaten unvorstellbar. Ich gucke zuhause und obwohl ich mich zwischenzeitlich sehr aufgeregt habe über DFB und DFL, über doofe Profis wie Kalou und Pappaufsteller, werde ich dennoch alles tun, den VfL in diesem verqueren System weiter zu unterstützen. Ja, ich kann nicht anders, die Revolution gegen das System bleibt aus, die anderen Revolutionäre müssen mich wohl “virtuell” erschießen, die sollen sich ja auch nicht mit CoVid 19 anstecken.

Natürlich hatte ich zwischendurch keinen Bock auf diesen Profi-Fußball und mir hat allerhöchstens das Treffen mit Freunden, die Atmo in der Burg und das Schreiben gefehlt, aber das was Samstag kommt, sicher nicht. Man kann auch gut ohne den Zirkus auskommen. Aber will man das wirklich?

Aber ich trage es missmutig mit, dass Bochum gegen Heidenheim vermutlich da anknüpft, sportlich, wo wir im März 2020 aufhörten, mit Nichgewinnen: Das ist das größte Problem, Reis sah ehrlicherweise die gleichen Lücken zwischen den VfL-Reihen wie im Januar und Februar und Bochum ist weiterhin brutal gefährdet am 26. Juni abzusteigen, wieder gegen Hannover. Aber auch das will ich ja anders haben, kann aber vor dem Fernseher rein garnichts mehr tun, diesmal kann uns Fans keiner die Mit-Schuld geben.

Ihr die Profis auf dem Platz, ihr habt es um so mehr in der Hand, ob drin bleiben im Geldspiel oder als Club demnächst betteln müssen.

Sesi, Reis und ihr Team steht ab Übermorgen wirklich alleine auf dem satten Grün und kann sich retten, siegen oder eben absteigen. Mir wird auch Samstag wieder heiß, wenn ich die Aufstellung lese und Bella Kotchap nicht dabei ist und ich werde richtig wütend, wenn wir nicht in jeden Zweikampf gehen und durch zweite Bälle Gegentore kriegen, aber es wird etwas ruhiger zu gehen in meinen eigenen Wohnzimmer. Standards vom Gegner, der werde ich wieder zittern und ja das Gemecker in der Pause auffem Klo im Block A, es fehlt mir. Ich mach da keinen Schlussstrich.

Ich tippe leider 1-2, obwohl niemand weiß, was die Maßnahmen am Ende bewirken. Marc Schnatterer trifft eh, dazu Blum und Leipertz.

Eine Bitte, wie immer Ihr euch entschieden habt, bleibt dem VfL treu, meinetwegen “unbequem und kritisch”, aber beim VfL sind wir nicht durch Pappaufsteller, Töne vom Band und Banner zu ersetzen, jeder von euch zählt. Aber wie ihr das lebt, das wisst nur ihr selbst. Haut rein, bleibt gesund, das ist das Wichtigste.

VfL: Riemann — Gamboa, Lampropoulos (Decarli), Leitsch, Danilo — Tesche , Losilla - Zulj — Osei-Tutu (Zoller), Blum (Weilandt) – Ganvoula
FCH: Kevin Müller — Marnon Busch- Oliver Hüsing -Patrick Mainka- Jonas Föhrenbach — Marc Schnatterer - Konstantin Kerschbaumer - Norman Theuerkauf — Niklas Dorsch Tim Kleindienst -Robert Leipertz

Tom, CB`93

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