Zeit der Skeptiker

Gestern ging es wirklich los. Der Ball rollt. Endlich: Nach all dem Gerede über Sicherheit, Europamüdigkeit (innerhalb der EU), dem möglichen Berxit und der Grande Nation und ihrer Identitätskrise, startete in - und mit Frankreich - die Fußball-EM 2016. Immerhin weltweit beachtet und vermutlich nach den Olympischen Spielen und der WM das drittgrößte Sportereignis des Planeten- Fußballeuropameister, wer wird es? Frankreich siegte recht glücklich 2-1 gegen tapfere Rumänen und die Entkrampfung des Gastgebers wirkt sich hoffentlich positiv auf das Turnier aus. Frankreich ist mit D und Spanien der Topfavorit. Heute sind drei spannende Spiele und Sonntag in Lille startet eine hoffnungsvolle Deutsche Mannschaft in Richtung Titelgewinn, nicht mehr und nicht weniger ist das Ziel des Fußballweltmeisters. Löw hat seinen bunten und starken Kader benannt, Lille und Paris werden unsere Spielorte sein. Ich freue mich darauf.

In jedem anderen Land dieser Welt (nehmt nur Holland (ach nee, sorry), also klassisch England, Frankreich, Polen, Russland, die Türkei, die Portugiesen oder Kroatien gedacht als amtierenden Weltmeister) wäre der örtliche Patriotismus bei dieser guten sportlichen Ausgangslage so gewaltig, dass selbst Fussballnerds wie ich es bin diese omnipräsente Fußballeuphorie (etwas) nerven würde. Klar, David Guetta war gester wieder gewohnt schleimig, Fußballorakel nerven total und diese Kommerzveranstaltungen kann man als Hunger Games betrachten. Brot und Spiele? Etwas oder? Das gilt aber eben auch für die Bundesliga oder die 2. Liga: Aber wir Deutsche sind ja schon - und das nicht erst seit dem Düsseldorfer Heinrich Heine - das Land der schwierigen Grübler im Vergleich zu den leichtfertigen Franzosen, wenn man dieses ausgelatschte Klischee bemühen möchte. Etwas stimmen tut es leider: Und das kann man dann bei so einem Großereignis schön sehen. Kennt ihr doch, oder? Der Typ neben einem sagt schmunzelnd, “ich hab’s ja nicht so mit dem Nationalgefühl - wir sind doch alles Weltbürger” - ich denke dann immer, ein Trekkie und warte auf John Luc Piccard.

Erst meldet sich die radikale Linke (Marke SLIME) grimmig zu Wort und warnt vor nichts Geringerem dem Vierten Reich, erst recht vor dem Hintergrund realer rechtspopulistischer Wahlerfolge überall in Europa. Okay, das machen diese Menschen “von Beruf”, so wie manche von Beruf “Deutscher, Serbe, Pole oder Norweger” zu sein scheinen - warnen vor dem Schlimmen….den üblen Nazis….kann man sagen. Ihr wisst doch was 1933 passierte - klar, da wurde Fortuna Deutscher Meister. Ach meint ihr nicht? Und sie - diese Mini-Sartres, linke Spießer bis hin zu den bewegten Journalisten von Reviersport - sind auch im modernen Deutschland nur noch eine laute Gruppe, die statt “Gartenzwergen sammeln” virtuell - oder echt - Fahnen abknipst oder davor warnt. Versteht mich nicht falsch, es ist immer richtig über sich, sein Land, Religionen, den Club oder soziale Entwicklungen kritisch nachzudenken. Nur wird das zu einem automatisierten Klischee verkehrt es sich ins Gegenteil.

Scheiß drauf, kann man sagen, aber dann kommt die zweite, größere Gruppe. Die, die betonen “ganz locker” zu sein (ohne es je wirklich zu sein), zeigen sich mit exotischen Trikots von Irland über Belgien bis zu den lustigen Isländern. So wären Ewald Lienen oder Daniel Cohn-Bendit als Fans. Motto, “wir sind lustige Spontis” wie 1992 die Dänen und dieses Stumpfdeutsche ist nicht unsers - Modell Ströbele . Die Griechen 2004 fanden sie soulig - damit meine ich natürlich nicht die Griechen selbst.
Das wäre so, als würden vor einer normalen Bundesligasaison im Urlaub Schwaben, Friesen oder Bayern selbstironisch Bochumtrikots tragen, um ihr Lokalpatriotische ins Lächerliche zu ziehen. Das wäre auch ziemlich schräg. Aber eine politische Bewegung, die keine Antworten mehr hat auf die wirklichen Sorgen der Menschen, sie “Pack” nennt, braucht Symbole oder die Ablehnung mancher Symbole.
Sie, diese “Wir sind für ein exotisches Team”-Menschen, frönen ihre intellektuelle Bauchnabelshow gerne mit einem Augenzwinkern, “für Deutschland zu sein”, mon dieux, “das sollen doch die Proleten in Heidenau oder Herne” machen. Für mich gehen die nach Schalke, aber das ist halt mein Vorurteil, in meiner Tomwelt. Da macht sich bei Unterschichtenflüsterern eine Ablehnung gegen das einfache Volk (in Malle) breit. “Ich bin für Island” und kenne sogar 2-3 Spieler von denen aus der dritten englischen Liga, sozusagen das Rot-Weiß Essen des Turniers. Was bin ich für ein geiler Motherfucker -was bin ich für ein geiler, ironischer, schlauer Typ…….isch han studiert!

Nun ist die Liebe zum eigenen (oft erfolglosen) Verein auch bei diesen ewigen Skeptikern sehr groß, aber Kennedeys Aussage: “Frage nicht was Dein Land für dich tun kann, sondern was du für Dein Land tun kannst!” wäre dann ja ein Nazistatement?
Da sind diese permanenten Zweifler schon wieder am Grübeln über ekelhaft-korrupte UEFA, konkrete, üble Terrorgefahr, hypothetische Partypatriotismusgefahren und die bösen Hooligans aus Polen, D und Eng. Die kamen gestern in Marseille wieder aus England/Russland/Frankreich und da haben die Medien den alten angelsächsischen Sündenbock. Da kommt wieder die Fratze des Gestern, nicht politisch correct, nicht nett, weiße, Trash-Unterschicht, nie lustig und selten augenzwinkernd. Davor warnen die beredten Kolumnisten ja gerne….und nun ist Hochzeit der intellektuellen Zweifler…..oh mein Gott……jetzt wird wieder ein penetranter Autokorso mit Flaggen letztendlich nicht nur die Nachtruhe sondern unsere ganze Demokratie bedrohen. Salonkommunisten lesen ein Buch und zünden sich die Cohiba an.

Desweiteren kommt der lokalpatriotische Verweis auf den Club, der einem näherstünde, nach der Warnung, dem Augenzwinkern und dem kruden Trikot. Mir steht der VfL auch näher als Löws Startruppe. Aber Bochum hat jetzt Pause bis Juli.

Also ich bin ehrlich gesagt froh mal 4 Wochen Pause zu machen von den ewiggleichen Clubsorgen, unbeschwert Fußball gucken und die Fahne bescheuert zu schwenken. Welche - fragt ihr doch nicht im Ernst- na - meine, die Deutsche - schwarz-rot-gold. Es ist mein Land, meine Kultur, meine Sprache, vier Wochen mein Team…..mit all den negativen Facetten. Es gibt sicher ganz viele, andere, sehr gute Gründe, das nicht zu tun und vielleicht berühre ich beim public viewing sogar einen Borussen. Kann passieren, es gibt Schlimmeres. Zum Bespiel ein Aus im Viertelfinale gegen Italien, ein Land was ich unglaubliche schön finde (wie Frankreich, Norwegen und Schottland), dessen Fußballkultur ich mag (Ultra und so), aber dessen Squarda Azzura ich so semi finde. Das hat nichts mit Politik zu tun, wie ihr euch denken könnt.

Ich freue mich drauf, Sonntag in Lille nicht nur Partypartiot - sondern gar Patriot im Sinne Kennedeys zu sein. Findet ihr Kacke, dass ich mein Land liebe? Schreibt es auf, in das Buddybook mit dem Regenbogenstift und bildet einen Sitzkreis…..denn ihr seid in Wahrheit so deutsch, dass es wehtut (denn der Wunsch es nicht (!) so sein, den gibt es sonst fast nirgendwo auf der Welt)…aber abbringen tut ihr mich davon nicht. Aber ihr könntet einen kritischen Rap schreiben….Jamsession mit K.I.Z. …… “Dummdeutsche Spießer in schwarz-rot-goldenen Fahnen fahren hupend durch die Nacht……”

“Ja, wir sehen uns in jedem Fall, im Sommer 2016 beim….!”

Tom, schwarz-rot-goldener Teil des CB’93

P.S.: Allez aux Lille ;-) ))

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